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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 22.09.2006
Aktenzeichen: 25 UF 21/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1671 Abs. 1
BGB § 1671 Abs. 2
Zu den Voraussetzungen der Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil gemäß § 1671 Abs. 1,2 BGB.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 25 UF 21/06

Verkündet am: 22.09.2006

In der Familiensache

hat der 25. Zivilsenat des Kammergerichts als Senat für Familiensachen durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Böhrenz, die Richterin am Kammergericht Diekmann und den Richter am Kammergericht Helmers auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 23. Februar 2006 wird zurückgewiesen.

Die Mutter hat dem Vater seine außergerichtlichen Kosten im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

nnnnnnn ist am nnnnn 1999 geboren. Die Kindeseltern waren nicht miteinander verheiratet. Sie gaben eine gemeinsame Sorgeerklärung ab.

Die Kindeseltern leben getrennt. nnn lebte jedenfalls seit 2003 auf Grund einer Vereinbarung der Eltern (im Rahmen eines Verfahrens vor dem Amtsgericht nnnnnnnnnnnnnnnnnn -) beim Vater und bei der Mutter im Wechsel, wobei die genaue Aufteilung zwischen den Eltern streitig ist.

Der Vater hat am 27. Mai 200n beantragt, die elterliche Sorge für nnn auf sich zu übertragen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bd. I Bl. 1-2 d.A. verwiesen.

Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg hat durch Beschluss vom selben Tage dem Vater im Wege einstweiliger Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein übertragen (Bd. I Bl. 4/5 d.A.).

Die Mutter ist dem Antrag des Vaters entgegengetreten und hat ihrerseits beantragt, ihr die alleinige elterliche Sorge für nnn zu übertragen.

nnn ist durch das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg am 22. September 2005 angehört worden. Es wird wegen der Einzelheiten auf Bd. I Bl. 32 d.A. verwiesen.

Am 23. Februar 2006 hat das Amtsgericht die Eltern, deren Verfahrensbevollmächtigte, die Verfahrenspflegerin und einen Vertreter des weiteren Beteiligten angehört. Es wird wegen der Einzelheiten auf Bd. I Bl. 141 - 143 d.A. verwiesen.

Wegen des weiteren Verlaufs des amtsgerichtlichen Verfahrens, insbesondere wegen der weiteren gestellten Anträge und Schriftsätze, wird auf die Verfahrensakten verwiesen.

Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg hat durch Beschluss vom 23. Februar 2006 die elterliche Sorge dem Vater allein übertragen, und den Antrag der Mutter zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bd. I Bl. 144 - 149 d.A.) verwiesen.

Dieser Beschluss ist den Verfahrensbevollmächtigten der Mutter am 6. März 2006 zugestellt worden. Dagegen hat die Mutter mit am 4. April 2006 bei dem Kammergericht eingegangenem Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde eingelegt, die mit am 8. Mai 2006 eingegangenem Schriftsatz begründet worden ist.

Die Mutter begehrt die Änderung des angefochtenen Beschlusses dahingehend, dass ihrem (erstinstanzlichen) Begehren entsprochen wird. Der Vater tritt dem entgegen. Wegen der Einzelheiten wird auf die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Der Senat hat am 22. September 200n nnn , die Verfahrenspflegerin, die Eltern des Kindes und deren Verfahrensbevollmächtigte angehört. Es wird auf Bd. II Bl. 27 - 28 d.A. verwiesen.

Hinsichtlich des weiteren Verfahrensverlaufs in der zweiten Instanz wird auf die Sachakten verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 621 e Abs. 1 ZPO i.V.m. § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden, mithin zulässig. Sie hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Recht dem Vater die alleinige elterliche Sorge für nnn übertragen.

1. Nach § 1671 Abs. 1 BGB kann, wenn Eltern, denen - wie hier - die gemeinsame elterliche Sorge zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt leben, jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. Dem Antrag ist bei fehlender Zustimmung des anderen Elternteiles stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

Das Kindeswohl im vorstehenden Sinn ist im Wesentlichen aus der in der gemeinsamen Sorge gesetzlich ausgeprägten besonderen gemeinschaftlichen Verantwortung der Eltern für ihre Kinder in der Getrenntlebenssituation zu interpretieren. Die gemeinsame elterliche Sorge ist der normative Regelfall (OLG Stuttgart FamRZ 1999, 39; OLG Hamm FamRZ 1999, 1597; vgl. auch BVerfG-Ka FamRZ 2004, 354; BGH NJW 2000, 203). Um zu klären, ob die Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Wohl eines Kindes am besten entspricht, ist zu prüfen, ob zwischen den Eltern die Einigung in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung noch möglich ist (vgl. OLG Köln FamRZ 2003, 1036).

Die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge setzt eine ausreichende Gesprächsgrundlage voraus (OLG Celle FamRZ 2003, 1488). Ungeachtet der Frage, ob Eltern zu einem Konsens verpflichtet sind (vgl. KG, 16. Zivilsenat, FamRZ 2000, 504), ist bei Konflikten der Eltern in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge entscheidend, welche Auswirkungen eine mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes haben wird (BGH NJW 2000, 203; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 111). Fehlt es beiden Eltern an der erforderlichen Kooperationsbereitschaft, können die für das Kindeswohl abträglichen Auswirkungen es rechtfertigen, einem Elternteil das gesamte Sorgerecht zu übertragen (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2001, 1636). Das gemeinsame Sorgerecht ist aufzulösen, wenn die Eltern in Erziehungsfragen unterschiedlicher Meinung sind und ihr tiefes Zerwürfnis sie hindert, die Belange des Kindes wahrzunehmen (OLG Düsseldorf NJW 1999, 2682; KG, a.a.O.), etwa dann, wenn zu befürchten ist, dass sich an der bisherigen Kooperationslosigkeit zwischen den Eltern nichts ändern wird (OLG München FamRZ 2002, 189).

Nach dem Ergebnis der gerichtlichen Ermittlungen geht der Senat davon aus, dass zwischen den Eltern erhebliche Kommunikationsschwierigkeiten bestehen. Sie sind nicht zu einer konstruktiven und vernünftigen, an den Interessen des Kindes orientierten Lösungsfindung in der Lage. Es bestehen weder eine Kooperationsfähigkeit noch eine entsprechende Bereitschaft.

Dafür spricht bereits, dass es den Eltern nicht möglich war, die von ihnen getroffene Vereinbarung vom 6. Juni 200n dauerhaft umzusetzen. Zudem sind bereits mehrere gerichtliche Verfahren durchgeführt worden bzw. noch anhängig. Aus dem Bericht des weiteren Beteiligten vom 27. September 200n ergibt sich, dass beide Elternteile die bestehende Situation sehr gegensätzlich betrachten. Die Eltern haben diese Einschätzung bei ihrer Anhörung vor dem Senat bestätigt. Sie haben sinngemäß ausgeführt, dass es an einer hinreichenden Kommunikation zwischen ihnen fehle.

Nach Einschätzung des Senats wirkt sich die beschriebene Problematik negativ auf das Wohl von nnn aus. Das ergibt sich eindrucksvoll aus dem Bericht der Verfahrenspflegerin vom n. August 200n . Dort ist dargelegt worden, wie schwierig es für die Verfahrenspflegerin war, mit nnn allein zu sprechen. Er habe sich an das Bein des Vaters geklammert und sei sehr schüchtern gewesen. Dies spricht in Zusammenhang mit der Äußerung des Kindes, die Mutter habe ihn allein gelassen (-ungeachtet der Frage, ob dies zutrifft-), für Verlustängste.

Der Senat hat bereits angesichts des Verfahrensverlaufs den Eindruck gewonnen, dass die Konflikte zwischen den Eltern dergestalt gelagert sind, dass sich daran in absehbarer Zeit nichts ändern wird. Dabei wird nicht verkannt, dass es zum Wohle des Kindes erforderlich ist, dass die Eltern den zwischen ihnen offenkundig bestehenden Konflikt jedenfalls hintan stellen. Es ist aber nicht ersichtlich, dass dies in naher Zukunft gelingen könnte.

2. Es entspricht dem Wohl des Kindes jedenfalls derzeit am besten, wenn dem Vater die elterliche Sorge insgesamt übertragen wird.

Bei der Frage, auf welchen Elternteil das Sorgerecht zu übertragen ist, sind die nachfolgenden Gesichtspunkte zu beachten, wobei ihre Reihenfolge im Hinblick auf ihren Stellenwert keine Bedeutung zukommt (Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 3. Aufl, § 1671 BGB Rn. 84):

- der Förderungsgrundsatz, der darauf abstellt, bei welchem Elternteil das Kind

- die meiste Unterstützung für den Aufbau seiner Persönlichkeit erfahren kann

- (BVerfG FamRZ 1981, 124);

- die Bindung des Kindes an beide Elternteile;

- der Wille des Kindes, soweit er mit dessen Wohl vereinbar ist und das Kind

- nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen Sinn in der Lage ist

- (vgl. Brandenb. OLG FamRZ 2003, 1953 - 1955);

- der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Wahrung der Entwicklung des Kindes abstellt (Brandenb. OLG, ebd., m.w.N.).

Nach Ansicht des Senats spricht der Förderungsgrundsatz (jedenfalls derzeit) für eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater. Maßgeblich ist insoweit, welcher Elternteil nach seiner eigenen Persönlichkeit, seiner Beziehung zum Kind und nach den äußeren Verhältnissen eher in der Lage zu sein scheint, das Kind zu betreuen und seine seelische und geistige Entfaltung zu begünstigen (KG FamRZ 1990, 1383).

Der Senat folgt nach der Anhörung der Mutter der Ansicht des weiteren Beteiligten in seiner Stellungnahme vom 20. Dezember 200n (Bd. I Bl. 130 d.A.), wonach keine Bedenken an der grundsätzlichen Erziehungsfähigkeit beider Eltern bestehen. Auch sind bei beiden Elternteilen die Betreuungsmöglichkeiten und die -bereitschaft gleich zu gewichtigen. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Mutter in derart beengten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, dass ihr eine Förderung von nnn nicht möglich ist.

Der Senat hat allerdings den Eindruck gewonnen, dass die Kindesmutter zur Zeit Schwierigkeiten hat, die Probleme, die nnn hat, hinreichend zu erkennen. Bei der Anhörung vor dem beschließenden Senat ist deutlich geworden, dass die Mutter keine hinreichenden Gründe dafür angeben konnte, warum nnn wiederholt geäußert hat, nicht zu ihr zurückkehren zu wollen. Vor der Verfahrenspflegerin hat nnn erklärt, dass Mama ihn immer allein in der Wohnung gelassen habe. Bei seiner letzten Anhörung hat er sinngemäß angegeben, Angst zu haben; er wolle nicht zurück, weil dort der Freund der Mutter sei. Es ist zwar nachvollziehbar, dass die Mutter unter der Trennung von ihrem Kind leidet. Maßgeblich ist hier allerdings, dass die Probleme des Kindes hinreichend erkannt werden, um Lösungen zum Wohle des Kindes zu entwickeln.

Als nicht das Kindeswohl fördernd erweist es sich in diesem Zusammenhang, dass die Kindesmutter den betreuten Umgang abgebrochen hat. Auch hier erscheint dem Senat die psychische Belastung für die Mutter durch diese ungewohnte Situation nachvollziehbar. Aus den Bekundungen des Kindes ergibt sich aber, dass sich nnn von ihr allein gelassen gefühlt hat. Ein Abbruch des Umgangs vermag diesen Eindruck zu verfestigen. nnn braucht gerade für seine seelische Entwicklung eine Verlässlichkeit in der Beziehung zur Mutter.

Der Senat hat den Eindruck gewonnen, dass der Vater derzeit am besten in der Lage ist, nnn die notwendige Stabilität und Entwicklungsförderung zu geben. Dafür spricht bereits der im Bericht der Verfahrenspflegerin vom 18. Januar nn geschilderte Entwicklungsfortschritt des Kindes. Hinzu kommt, dass der Vater bereits initiativ geworden ist, um abklären zu lassen, aus welchen Gründen bei nnn Ängste bestehen.

Auch das Bindungselement spricht für eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater. Nach Ansicht des Senats ist deutlich geworden, dass nnn eine Beziehung und Bindung zu beiden Elternteilen hat. Allerdings ist die Bindung an den Vater derzeit eindeutig stärker. Aus den Bekundungen des Kindes vor dem Senat, aber auch aus dem von der Verfahrenspflegerin geschilderten Eindruck ergibt sich, dass nnn jedenfalls gegenüber seiner Mutter verunsichert ist und kein hinreichendes Vertrauen hat. Andernfalls lässt sich nicht erklären, dass er nicht zu ihr möchte und z.T. Ängste ausdrückt.

Für die hier getroffene Entscheidung spricht auch der Wille des Kindes. Der Wille eines Kindes ist zum einen der verbale Ausdruck für die relativ stärkste Personenbindung, zum anderen von einem gewissen Alter an ein Akt der Selbstbestimmung. Der nnn verkennt nicht, dass der Kindeswille jedenfalls vor Vollendung des zwölften Lebensjahres eines Kindes keine (relativ) zuverlässige Entscheidungsgrundlage ist. Hier bildet er allerdings eine ( -nicht die alleinige-) Komponenete, die für eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater spricht. nnn hat durchgängig während des gesamten Verfahrens gegenüber unterschiedlichen Personen angegeben, nicht zur Mutter zu wollen. Es wird nicht verkannt, dass die Auffassung des Kindes möglicherweise nicht vollumfänglich ohne Beeinflussung von Erwachsenen, auch des Vaters, geprägt wurde. Allerdings ergibt sich aus den Bekundungen hinreichend eindeutig, dass nnn jedenfalls derzeit nicht bei der Mutter leben möchte.

Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass die vorgenannten Kriterien es bereits rechtfertigen, die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater vorzunehmen. Hinzu kommt, dass für die hier getroffene Wertung auch Kontinuitätsgesichtspunkte sprechen. nnn würde, sofern er nunmehr seinen Aufenthalt wechseln müsste, ein Umfeld verlieren, in das er sich eingefunden hat.

Es erschien angesichts der widerstreitenden Auffassung der Eltern insbesondere zum Aufenthalt, der zu regelnden schulischen und gesundheitlichen Belange des Kindes erforderlich, die gesamte elterliche Sorge auf den Vater zu übertragen.

Von der Einholung eines Sachverständigengutachtens konnte abgesehen werden, da nach Ansicht des Senats die vorgenannten Kriterien, die für die Entscheidung maßgeblich sind, bereits nach den vorgenommenen Ermittlungen festgestellt werden konnten.

Der Senat möchte anmerken, dass es - ungeachtet der hier getroffenen Entscheidung - im Interesse des Kindeswohles geboten erscheint, dass die Eltern ihren eigenen Konflikt nicht weiter, insbesondere nicht in Gegenwart des Kindes austragen. Als notwendig erweist es sich vielmehr, dass im Zusammenwirken beider Elternteile die Ursächlichkeit der ablehnenden Haltung des Kindes gegenüber der Mutter, insbesondere der Grund seiner Ängste ernst genommen und hinreichend abgeklärt wird. Nur so dürfte es gelingen, dass sich die Beziehung zwischen nnn und der Mutter wieder stabilisiert.

3. Die Entscheidung zu den außergerichtlichen Kosten beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG. Die Wertfestsetzung ergibt sich aus §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 und 3 KostO.

Angesichts der hier getroffenen Einzelfallentscheidung war die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen (§ 621 e Abs. 2 i.V.m. § 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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